02/2023: Warum Wolle alternativ­los ist

Bei Facebook bin ich auf einen Beitrag von Ulrike Bogdan aus dem Jahr 2019 gestoßen. Dieser Text gibt so ziemlich alles wieder, was ich in den wenigen Jahren Schafhaltung und Verarbeitung unserer Wolle bei regionalen Anbietern (Spinnerei, Handweberei) erfahren durfte und gelernt habe. Da es unnötig ist, sich zu wiederholen und Ulrike alles was dazu gesagt werden sollte, in einen einzigen wundervollen Beitrag gefasst hat, hier die Version von Ulrike:

Mulesing und wem die Debatte nutzt

Australien und Neuseeland stehen vor dem Problem, dass Fliegenlarven die Schafe bei lebendigem Leib auffressen. Ist ein Schaf erst einmal befallen, dann dauert es nur wenige Tage bis die Larven sich soweit ausbreiten, dass sie ganze Körperteile und innere Organe zerfressen, während das Schaf lebt und leidet! Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich 3 Mio. Schafe in Australien vom Flystrike betroffen sind und ohne Mulesing daran elendich zugrunde gehen würden.

Ich denke aber auch, es ist unumstritten, dass Mulesing nicht die beste Lösung des Problems ist (die zweitschlechtetste wäre nur komplettes Versprühen von Pestiziden vom Flugzeug aus). Besser ist es, die Hautfalten der Australmerinos zurückzuzüchten und sogenannte „Plain Bodies“, also faltenlose Merinos, zu bevorzugen. Die werden nicht befallen und müssen nicht den Schnitt zur Entfernung der Hautfalte am Hinterteil bekommen – mangels Hautfalte. Alternativ dazu könnte man z.B. noch, bis zur gelungenen Rückzüchtung aller Merinos in Australien, wenigstens Betäubung bei der Durchführung der Schnitte anwenden.

Gehen wir einfach mal davon aus, dass Mulesing an sich keine gute oder gut durchgeführte Praxis ist. Und dass auch Australien aus dem Mulesing aussteigen sollte. Was mich aber nun die letzten Tage beschäftigt, war die Frage, woher kommt diese (erneute) Beschäftigung mit einem recht alten Problem?

Mulesing wird seit 1930 in Australien betrieben und ist seitdem schon nicht ganz unumstritten. Anfang der 2000er gab es schon einmal eine große Kampagne dagegen. Das war gerade die Zeit, als der Preis für Rohwolle auf dem Weltmarkt eingebrochen war. Damals gab es ein großes Interesse daran, Australmerino auf dem Weltmarkt wieder bekannt zu machen und neue Absatzmärkte zu finden. Entsprechend wurde die Wolle gepusht und es kam Kritik an der Praxis des Mulesing auf. Australien und Neuseeland gelobten den Ausstieg, den aber leider nur Neuseeland durchzog und Australien wieder zurücknahm.

Neuseeland trat 2007 in eine Übergangsphase ein, bei der nach und nach die Farmer umstiegen und ein vollständiger Bann des Mulesing in Neuseeland ist seit dem 1. Oktober 2018 in Kraft. Neuseeländische Merino kann also unbedenklich gekauft werden. Falls es jemandem nach Merinowolle von der anderen Seite der Welt ist.

In Australien sind Farmer einen anderen Weg gegangen. Inzwischen werden 3.000 von den 45.000 Schaffarmen mit rückgezüchteten Merinos betrieben, bei denen Mulesing unnötig ist. Und es werden nach und nach immer mehr. Es gibt also Alternativen! Es gibt sogar Australmerino, die Mulesing-frei ist. Die sinnvollste Alternative wäre natürlich, heimische Wolle zu verwenden. Hier ist Mulesing mangels der entsprechenden Fliege und wegen der deutlich kleineren Herden kein Thema. Wieso werden dann diese Alternativen nicht genannt? Wieso werden als Alternativen nur Kunstfasern genannt?

Kunstfasern bestehen zu einem überwiegenden Teil aus petrochemischen Produkten. Sprich: Erdöl. Viskose ist zwar auch eine Kunstfaser aber nicht direkt aus Erdöl, sondern aus Pflanzen, nimmt aber auf dem Weltmarkt lediglich einen Anteil von knapp 10 Prozent ein. 2018 wurde wegen Mikroplastik stark gegen die Kunstfasern vorgegangen. Bei jeder Wäsche lösen sich Plastikteile aus den Kunstfasern und landen über das Abwasser, die Kläranlagen, aus denen sie nicht mehr herausgefiltert werden können, und das Meer, letztendlich wieder auf unseren Tellern und damit in unseren Körpern. Das ist schlecht.

Und das ist nur ein kleiner Teil, mit dem Kunststoffe uns und unsere Mitwelt versauen. Es fängt ja schon bei der Förderung des Erdöls an. Zerstörte Landschaften, vergiftetes Wasser, abgeholzte Regenwälder, vergiftete Meere, tonnenweise abgefackeltes Öl und Gas, das tonnenweise COs und andere Treibhausgase in die Atmosphäre trägt, zerstörte Korallenriffe, milliardenfach getötete Lebewesen sind das Nebenprodukt unseres Ölwahns. Nur bei der Förderung des Rohöls. Dieses Rohöl muss dann in Raffinerien transportiert werden, wieder mithilfe von Öl. Dort wird es raffiniert, was wieder jede Menge Gifte in die Umwelt entlässt und wieder milliardenfach Lebewesen umbringt. Dann wird es in die Fabriken gebracht (wieder mit Hilfe von Erdöl), um dort zu Kunststoffen umgewandelt zu werden. Dieser chemische Prozess benötigt wieder jede Menge Energie und andere Chemikalien, die ihrerseits aus Erdöl hergestellt wurden, um dann als Kunststoff wieder durch die Gegend transportiert zu werden damit man in einer anderen Fabrik unter hohem Energieaufwand (Erdöl) und weiteren Chemikalien, Kunstfasern produzieren kann. Die dann wieder durch die Gegend gekarrt werden, damit sie hier getragen werden können. Nach dem Tragen enden sie entweder auf Müllhalden, wo sie nach und nach zu immer kleineren Plastikteilchen zerfallen, während sie giftige und zerstörerische Gase ausstoßen. Oder sie landen direkt im Meer, wo sie direkt Lebewesen umbringen können oder sie werden verbrannt. Da hinterlassen sie eine giftige Schlacke, die wie Atommüll, langfristig gelagert werden muss, da sie sich nicht zersetzt.

Plastik ist keine Lösung. Es ist nicht einmal eine kurzfristige Alternative. So sehr wir aus dem Mulesing aussteigen müssen, umso mehr müssen wir aus dem Plastik aussteigen.

Wolle hingegen ist ein natürliches Produkt! Für die Herstellung von Wolle wird nur ein winziger Anteil von petrochemischen Stoffen und Energie aus fossilen Brennstoffen benötigt. Wolle wächst auf Schafen, die im besten Fall auf einer Weide stehen. Das Gras auf der Weide benötigt Sonnenenergie um zu wachsen. Damit wird Wolle zu einem großen Teil aus regenerativen Energien hergestellt. Wenn ein Kleidungsstück aus Wolle kaputt ist und nicht mehr repariert werden kann, dann kann man es bedenkenlos im Kompost vergraben, denn es wird vollständig zersetzt und es bleiben keine giftigen Stoffe zurück. Vorausgesetzt es wurde nicht mit synthetischen Farben gefärbt. Damit ist Wolle so ziemlich die natürlichste Faser, die es gibt.

Im besten Fall stammt die Wolle aus der Region in der man lebt. Wodurch sie noch nicht einmal für den Transport viel Energie benötigt hat. Durch das Benutzen von Wolle werden in der Regel keine Lebewesen getötet oder gequält. Wenn ein*e Schafhalter*in sich auskennt, kann er*sie die Schafe so steuern, dass auch die Schur den Schafen keinen Schaden zufügt. Ein*e Scherer*in der*die sich auskennt, kann Schafe so scheren, dass es nicht mehr Stress für sie ist, als unser Gang zum*r Frisör*in.

Die beste Alternative zu Wolle ist und bleibt Wolle. Wolle von heimischen Schafen. Wolle von Mulesing-frei gehaltenen Schafen. Oder andere Tierhaare. Heimische Angorakaninchen werden ohne Quälerei von Liebhaber*innen gehalten. Alpakas liefern unglaublich schöne Fasern. Und es gibt sie auch in unseren Gefilden. Mohairziegen, sogar Hundehaare, alles ist besser als Kunstfasern. Und alles ist lebewesenschonender als Kunstfasern.

Kunstfasern sind keine Alternative. Wolle ist es.

Ulrike Bogdan; 2019